Von starken Jungs. Und starken Mädchen.

In einem Interview mit mir reflektierte ein elfjähriger Junge kürzlich darüber, was denn ein starker Junge sei. Er wies darauf hin, dass es zurzeit sehr viele Angebote für starke Mädchen gäbe, aber dass doch auch nicht alle Jungs stark seien und Unterstützung brauchen könnten. Und, meinte er, was das überhaupt bedeutet, stark sein. Es gäbe schliesslich stark in den Muskeln und stark im Herzen, aber auch stark in schulischer Hinsicht.

Da. War. Ich. Platt. Wie konnte dieser Elfjährige in Bezug auf seine intellektuelle Reife so viel weiter sein als unzählige seiner erwachsenen Zeitgenoss:innen? Auf jeden Fall brachte mich seine Aussage zum Nachdenken. Wie erzieht man heute Jungs, und natürlich auch Mädchen, die alle diese Stärken – emotionale, psychische und physische – in sich trugen?

Als Mutter von einem zwar wilden, aber emotional feinfühligen und empathischen Jungen sowie einem selbstbewussten, lauten Mädchen wünsche ich mir natürlich Stärke und Resilienz für beide Kinder. Denn angesichts von Tradwives und Andrew Tates, von rassisstischen Politiker:innen, Incels und rechtsradikalen Gruppierungen wird mir ganz anders. Wenn ich Feminismus-Gegner und weitere Intoleranz-schürende Zeitgenoss:innen lese, höre und sehe, dann sitze ich als Mutter da und frage mich: Was zur Hölle passiert hier eigentlich gerade? Wenn toxische Männlichkeit, anstatt final begraben zu werden, wieder salonfähig wird? Wenn Diversitäts-Errungenschaften innerhalb weniger Monate dem Erdboden gleich gemacht werden? Dann kommen die Zweifel. Und auch die Ängste.

Wie soll ich es schaffen, meinem sanftmütigen Jungen beizubringen, dass er bleiben soll, genauso wie er ist? Und dass mein starkes, kleines Mädchen, auf keinen Fall aufhören soll, ihre Stimme zu erheben und weiterhin für sich und andere einzustehen? Dass, selbst wenn andere sie zum Schweigen bringen wollen, sie nicht schweigen sollen?

Ich weiss es nicht. Klar ist nur, dass der Weg steinig wird. Für sie und für mich. Denn wir Eltern müssen heute einen doppelt guten Job machen, um unseren Kindern eine Extraportion Resilienz, Durchhaltewillen, Glauben an sich selbst und vieles mehr mitzugeben. Damit sie tief in sich das Wissen tragen, dass sie als Jungs feinfühlig sein und als Mädchen laut sein dürfen. Oder auch nicht, genauso wie es ihrem Charakter entspricht.

Weiter
Weiter

We need love – wie erkläre ich meinen Kindern, dass die Welt in Flammen steht?